Aktuelle Krisen und steigende Kosten stellen die produzierende Industrie vor enorme Herausforderungen. Die Unternehmen sollen routinemäßig große Stückzahlen in bester Qualität herstellen und auf Anfrage schnell individualisierte Einzelprodukte oder Kleinserien liefern. Daneben werden auch Aspekte wie Energieeffizienz und Nachhaltigkeit in der Fertigung immer wichtiger, was zahlreiche Umstellungen erfordert. Klassische Produktionsumgebungen sind aufgrund der typischerweise starren Abläufe nicht ausreichend für all diese Anforderungen gerüstet, selbst wenn sie – getrieben durch die Digitalisierung – in den letzten Jahren modernisiert wurden. Eine Lösung dieses Problems stellen zehn Fraunhofer-Institute der Fraunhofer-Verbünde Produktion, Light & Surfaces und IuK mit dem Leitprojekt SWAP vor. Hinter dem Begriff SWAP steckt ein Konzept für "Heterogene, auslastungsoptimierte Roboterteams und Produktionsarchitekturen". Die Grundidee der darauf basierenden Architekturlösung "SWAP-IT" zielt auf ein skalierbares cyber-physisches Produktionssystem, das sehr schlank ist und sich flexibel auf unterschiedlichste Produktionsprozesse anwenden lässt. Durch seinen modularen Aufbau bricht die Produktionsarchitektur die statischen Strukturen und schematischen Abläufe klassischer Produktionsstätten auf und flexibilisiert die Arbeitsschritte. Eine einheitliche und semantisch vereinfachte Beschreibungssprache für Maschinen, Prozesse und auch Produkte ermöglicht die Einbindung von Betriebsmitteln wie Maschinen, Robotern oder autonomen Transportsystemen. Im Ergebnis entsteht eine intelligent agierende und anpassungsfähige Produktionsumgebung.
Beschreibungssprache formuliert den Auftrag
Ein zentraler Bestandteil von SWAP-IT ist die Beschreibungssprache "PFDL" (Production Flow Description Language), eine eigenständige Entwicklung der Forschenden, die im Rahmen des Projektes erarbeitet wurde. Sie bindet sowohl das herzustellende Endprodukt als auch die zur Herstellung nötige Maschinentechnik ein. Die PFDL dient dazu, vor dem Start der Fertigung das jeweilige Endprodukt oder Bauteil zu definieren und anschließend die gewünschten speziellen Merkmale zu ergänzen. "Geht es um eine Autotür, werden beispielsweise zunächst grundlegende Abmessungen beziehungsweise die Geometrie der Tür und dann deren individuelle Eigenschaften wie Lackierung oder Tönung der Scheiben beschrieben. Um den Prozess zu vereinfachen, kann die PFDL ein CAD-Modell laden, das dann nur noch individuell angepasst werden muss", erklärt Peter Detzner, Experte für cyber-physische Produktionssysteme und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML. Damit ist ein Auftrag formuliert, der von einem auftragszentrischen Produktionssystem eigenständig umgesetzt werden kann. Über die Maschinenschnittstelle werden alle Teilschritte des Auftrags umgesetzt. Dies geschieht, indem die in der jeweiligen Maschine hinterlegten Services aufgerufen werden. Im Anschluss können die für die Umsetzung des Auftrags nötigen Maschinen und Roboter zielgerichtet mit der Arbeit beginnen. Der entscheidende Vorteil: Da in der PFDL zwar die prinzipielle Reihenfolge der Arbeitsschritte festgelegt ist, aber nicht, welche Maschine welche Aufgabe übernimmt, entscheidet die SWAP-IT-Software, wie genau der Auftrag ausgeführt werden soll und vergibt einzelne Aufgaben an gerade verfügbare oder günstig platzierte Maschinen. Das Produktionssystem berücksichtigt dabei viele unterschiedliche Faktoren wie den aktuellen Status der Anlagen, die Laufzeit der jeweiligen Aufgaben oder bisherigen Aufgaben und auch die Kosten, die der Betrieb der Maschine verursacht. Auf die Verteilung von Aufgaben spielt auch der Name SWAP-IT, zu Deutsch "Tausche es" an. So wird jeder Auftrag passend zu den Vorgaben individuell und zugleich effizient ausgeführt. Bei der klassischen Fertigung mit ihren standardisierten Arbeitsstationen ist diese Fall-zu-Fall-Flexibilität nicht erreichbar. "Die langfristige Vision dahinter ist, dass beispielsweise beim Bau eines Automobils nach Erstellung des Auftrags Maschinen und Robotersysteme als gut organisiertes Team an den Komponenten des Autos arbeiten. Dies gilt ebenso für andere Branchen wie etwa die optische Industrie oder den Flugzeugbau", erklärt Niels Schmidtke, Projektleiter und Leiter der Geschäftsstelle des Fraunhofer-Verbunds Produktion.
Individuelle Zielvorgaben für jede Produktion
"Die verantwortlichen Mitarbeitenden können im PFDL-Auftrag auch Zielvorgaben hinterlegen. Sie könnten bestimmen, dass die Herstellung besonders energieeffizient oder besonders schnell oder mit maximaler Auslastung der Anlagen und Maschinen ausgeführt werden soll", erläutert Andreas Ebner, Experte für Kognitive Industrielle Systeme
am Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB. Diese Zielvorgaben lassen sich jederzeit ändern. Bei einer spontan eintretenden Auftragsspitze können die Mitarbeitenden beispielsweise die schnelle Herstellung als Zielvorgabe für das System setzen, auch wenn dies im Einzelfall dann mehr Energiekosten verursacht.
Die Produktion kann so problemlos auf Nachbestellungen oder auf die Modifikation der Produkteigenschaften bei einer neuen Produktversion reagieren. Darüber hinaus ist die Produktionsarchitektur in der Lage, die Herstellung eines besonders großen Bauteils auf mehrere Maschinen aufzuteilen. So könnte die Fertigung der großen Pressform, die später zum Ausformen einer Automobil-Seitenwand dient, auf kleinere Maschinen aufgeteilt werden, die jeweils nur ein Segment herstellen. Die Segmente werden nachgelagert zusammengefügt. Auf diese Weise können statt schwer verfügbarer und teurer Maschinen preiswertere kleine Maschinen eingesetzt werden.
Logische Ergänzung zu Industrie 4.0
Im Rahmen des Megatrends Industrie 4.0 haben Technologien wie Sensorik, Vernetzung oder Digitaler Zwilling in den Fabrikhallen Einzug gehalten. Das Leitprojekt SWAP versteht sich als dessen Fortführung. "Diese Technologien sammeln Informationen über das Geschehen in der Fabrikhalle und machen diese verfügbar. SWAP-IT nutzt die Daten, um die Produktion von starren Abläufen zu befreien. Sie ist der nächste logische Schritt", erläutert Detzner. Was nach komplexer Struktur und langer Einarbeitungszeit klingt, ist in der Praxis gut beherrschbar. Die Fraunhofer-Experten legten bei der Entwicklung der Beschreibungssprache PFDL und bei der Konzeption von SWAP-IT großen Wert darauf, die Komplexität so weit wie möglich zu reduzieren. So wird bei der Implementierung im Unternehmen das Vokabular von PFDL auf das individuelle Anwendungsszenario zugeschnitten. "Damit erzielen wir einen optimalen Kompromiss zwischen größtmöglicher Flexibilität und einem schlanken System", erläutert Ebner. Zudem arbeiten die Forschenden an einem praxisnahen Vorgehensmodell zur Implementierung von SWAP-IT, um den Unternehmen die Umstellung auf die neuartigen Produktionsarchitektur zu erleichtern.
Autor(en): wi