Anlässlich des JOT-Jubiläums baten wir einen ausgewiesenen Kenner der Branche aufzuzeigen, wohin sich die industrielle Teilereinigung in den nächsten beiden Jahrzehnten entwickeln könnte. Seine Ideen dazu hat unser Autor in acht Thesen zusammengefasst. Die lange Fassung des Beitrags finden Sie in der Jubiläums-Ausgabe von JOT.
1. Reinheit wird wichtiger und definierter
Mehr Menschen auf unserem Planeten bedeutet auch, dass mehr Verunreinigungen und Verschmutzungen verschiedenster Art produziert werden. Somit wird die Unterscheidung und Trennung von erwünschten und unerwünschten Stoffen, von Wertstoffen- und Abfallstoffen immer wichtiger – sowie die Technologien zur Separation, wozu auch die Reinigung gehört. Im Rahmen der Qualitätssicherung, der Prozessstabilität oder der Sicherheit von Produkten wird es zunehmend wichtiger werden, Bauteile oder Produkte auf ein definiertes Sauberkeitsniveau zu bringen. Somit wird es immer mehr Sauberkeitsspezifikationen beziehungsweise Grenzwerte geben, die dann mit der entsprechenden Reinigungstechnik erreicht werden müssen.
2. Reinheit wird mehr überwacht
Die Reinheit, die von den Produkten gefordert wird, muss nicht nur mit Grenzwerten spezifiziert sein, sondern im Rahmen der Qualitätssicherung überprüft werden und dass mit einer möglichst hohen Vergleichbarkeit in globalen Lieferketten. In der Automobilindustrie bei der Prüfung der Partikelsauberkeit ist dies schon seit fast 20 Jahren Gang und Gäbe und über die VDA 19.1 geregelt. Die Methoden, die hier festgeschrieben sind, werden zunehmend auch in anderen Branchen eingesetzt, beispielsweise der Medizintechnik. In den nächsten Jahren werden weiterhin die filmisch/chemischen Rückstände zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die entsprechende Prüftechnik zur Überwachung der filmisch/chemischen Oberflächensauberkeit im Kunden-Lieferantenverhältnis befindet sich gerade in der Entwicklung zu Serienreife und könnte in den nächsten Jahren eine ähnliche Verbreitung finden, wie dies bei den Partikeln bereits erfolgt ist. Für die industrielle Teilereinigung bedeutet diese Entwicklung, dass die Qualität beziehungsweise chemische Reinheit der Reinigungs- und Spülbäder eine höhere Bedeutung erlangt, damit die abgereinigten Substanzen sich nicht wieder über die eingesetzten Reinigungsmedien auf den Bauteilen niederschlagen können. Sicher demulgierende Reiniger, zuverlässig arbeitende Ölabscheider oder bei hohen Anforderungen chemisch sehr saubere Spülbäder werden dafür unabdingbar sein. Die hohe Reinheit der Medien, die hier für manche Reinigungsaufgaben gefordert sein wird, kann nicht mehr nur durch stichprobenartige Sauberkeitsanalysen im Labor sichergestellt werden. Hierzu wird zukünftig mehr Sensorik erforderlich sein, die direkt in der Reinigungsanlage die Qualität der Bäder überwacht, die Nachdosierung von Reinigerkomponenten oder den Badwechsel initiiert und dazu beiträgt, den jeweiligen Reinigungsprozess genau auf die jeweilige Reinigungscharge abzustimmen.
3. Reinigungstechnik wird intelligenter
Ein allgemeiner Trend in allen Bereichen der Fertigungstechnik, die zunehmende Digitalisierung, wird natürlich auch nicht vor der industriellen Teilereinigung Halt machen. Zukünftig werden aber nicht nur Daten aus der Reinigungsanlage selbst genutzt werden können, sondern auch Informationen aus Vorprozessen. So kann die Kenntnis über die Eingangsverschmutzung der Bauteile dazu genutzt werden, einen Reinigungsprozess wirklich bedarfsgerecht auszuführen und die Reinigungszeit, den Energieverbrauch und damit die Reinigungskosten zu optimieren. Aber auch was die Zusammenstellung von verschiedenen Bauteilen zu Waschlosen, die Reihenfolge der Abarbeitung oder die Priorisierung von Reinigungsaufträgen angeht, bis hin zur Verteilung von Reinigungsaufträgen auf verschiedene Anlagen, wird die Digitalisierung einen großen Nutzen bringen, um zukünftige Reinigungsanlagen effizient zu nutzen.
4. Das Prozesskettenverständnis wird zunehmend wichtiger
Bisher schaut man sich die Prozesskette in Bezug auf die Reinheit eines Bauteils in der Regel erst nach der Reinigungsanlage an. Durch die umfangreiche Überprüfung der Technischen Sauberkeit in zahllosen Firmen- und Dienstleistungslaboren zeigt sich aber immer häufiger, dass nicht jedes Bauteil auf jeden gewünschten Sauberkeitszustand gereinigt werden kann, schon gar nicht mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand. Hier kann man zukünftig nur weiterkommen, wenn man sich auch mit dem Bauteil selbst und seiner Herstellung intensiv befasst, das heißt mit der Prozesskette vor der Reinigung.
5. Der Mythos "reinheitsgerechte Konstruktion" wird entzaubert
Wer denkt, einem Entwickler oder Konstrukteur müsse man nur ein paar Grundlagen über „reinigungsgerechte Konstruktion“ oder „hygienic design“ vermitteln und schon bekommt man die gewünschten "blitz-blanken" Teile aus der Reinigungsanlage, der wird in den meisten Fällen falsch liegen. Basis für diese Ansätze sind einfache Geometrien, eine gute Zugänglichkeit für das Reinigungsmedium für alle relevanten Bauteilbereiche und eine glatte und widerstandsfähige Oberfläche. Das lässt sich sehr gut umsetzen, wenn man beispielsweise an Geschirr in einer Geschirrspülmaschine denkt. Wie soll es aber gelingen, mit solchen Ansätzen einen Zylinderkopf für einen Verbrennungsmotor zu gestalten? Wie soll man bei einem hydraulischen Steuerblock auf innenliegende Kanäle und kreuzende Bohrungen verzichten? Bauteile werden auch in Zukunft strikt nach ihrer Funktion ausgelegt und konstruiert werden und der Reinigungsprozess wird sich weiterhin den daraus resultierenden Anforderungen stellen müssen, das heißt die "reinigungsgerechte Konstruktion" wird wohl auch in Zukunft für die allermeisten Teile ein Wunschbild bleiben. Das heißt aber nicht, dass wir die Konstrukteure und Planer aus der Verantwortung entlassen können, nur weil sich technische Bauteile in der Regel nicht in ein "hygenic design" pressen lassen. Ganz im Gegenteil, oft sind es gerade kleine konstruktive oder planerische Aspekte, die die Reinigung eines Bauteils vereinfachen oder erschweren können.
6. Reinigungsprozesse werden simuliert
Was in vielen anderen Anwendungen seit Jahren zum festen Handwerkszeug gehört, ist in der Reinigungstechnik noch eher exotisch: Der Einsatz von Simulationstechnik. Doch gerade in der Reinigungstechnik würde diese Technologie sehr viele Vorteile bringen. Reinigungsprozesse könnten von der Strömungsführung an die Bauteilgeometrie angepasst werden, Reinigungsgestelle oder Körbe könnten ideal ausgelegt werden oder Reinigungszeiten ließen sich berechnen. Selbst die reine Visualisierung von Reinigungsprozessen könnte bei den Kunden viel zum Verständnis beitragen und es den Anlagerherstellern erleichtern, die zu lösenden Probleme zu adressieren. In wenigen Jahren wird es zum Standard gehören, bei der Projektierung von Reinigungsanalgen interaktiv mit dem Kunden Simulationsprogramme zu nutzen. Die gilt zumindest für Spritz, Spül- und Tauchanwendungen, bei der Simulation von Ultraschallreinigungen wird es eventuell noch etwas länger dauern, da hier die physikalischen Zusammenhänge noch etwas komplexer sind und nicht einfach eine Erweiterung von etablierten Fluiddynamik-Programmen darstellen.
7. Vieles hat sich bewährt und wird bleiben
Klassisch ist die industrielle Teilereinigungstechnik mit flüssigen Reinigungsmedien verbunden wie Lösemitteln oder Wasser mit Detergenzien. Das wird auch in Zukunft für die meisten Anwendungen alternativlos sein. Die Konzepte, wie Reinigungsanlagen heute je nach Anwendung aufgebaut sind, zum Beispiel als Durchlaufspritzanlagen, Kammeranlagen mit Druckumfluten, Spritzen und Ultraschall oder Mehrbad-Ultraschall-Tauchanlagen wird es auch zukünftig geben, weil sie sich über Jahre oder Jahrzehnte bewährt haben. Viele Reinigungsanlagen können auch durch Nachrüstung oder Erweiterung an zukünftige Anforderungen angepasst werden, zum Beispiel durch den Einbau hochwertigerer Filter oder modernerer, intelligenterer Steuerungen. Auch bei den Prinzipien, wie Reinigungsanlagen energieeffizient und umweltfreundlich aufgebaut und betrieben werden können, ist heute das meiste bekannt und verfügbar. Inwieweit diese Konzepte in Zukunft eingesetzt werden, wird sich über Energiepreise oder regulative Forderungen entscheiden. Aber hier gibt es auch Grenzen bei der Energieeinsparung, die durch den Reinigungsprozess selbst gegeben sind. Obwohl es auf der Basis der bestehenden Reinigungstechnik aufsetzen wird, wird es manche Reinigungsaufgaben geben, die extrem komplex und aufwändig werden, zum Beispiel in Kombination mit einer entsprechenden Sauberkeitsanalytik, einer hinreichend sauberen Umgebung oder einer Verpackung mit höchsten Reinheitsansprüchen. In diesen Fällen wird sich nicht mehr jede Firma die entsprechende Reinigungs- beziehungsweise Reinheitstechnik leisten können oder wollen, so dass es zukünftig mehr spezialisierte Reinigungsdienstleister geben wird mit der entsprechenden, bei Bedarf auch mobilen, Infrastruktur.
8. Reinigung wird trockener
Es gibt aber auch Reinigungsaufgaben, die mit Flüssigkeiten nicht gelöst werden können. Ein Beispiel ist die Montage-integrierte Reinigung, dort wo Bauteile zu Baugruppen assembliert werden und durch die eingesetzten Fügeprozesse unerwünschte Partikel erzeugt werden. Hier ist eine Flüssigreinigung meist nicht mehr möglich, da beispielsweise die Trocknung solcher Baugruppen extrem schwierig wäre. In solchen und ähnliche Fällen haben sich schon in den letzten Jahren verschiedene trockene, lokal wirkende Reinigungsverfahren etabliert, wie die Reinigung mit Lasers, mit Atmosphärendruckplasma oder mit dem CO2-Schneestrahl. Selbst das Abblasen mit teils ionisierter Druckluft mit starren oder rotierenden Düsen ist ein ganz eigenes Feld der Reinigungstechnik, das sich in den letzten Jahren schwunghaft entwickelt hat und auch in den nächsten Jahren immer weiter an Bedeutung gewinnen wird. Die zunehmende Elektrifizierung von Fahrzeugen erhöht ebenfalls den Bedarf an trockenen Reinigungsverfahren.
Fazit
Der Bedarf nach sauberen Bauteilen und Produkten wird weiter stark zunehmen. So vielfältig wie der Begriff Reinheit ist, so vielfältig wird sich auch die Reinigungstechnik darstellen. Je besser das Verständnis wird, was genau stört, umso zielgerichteter wird auch die Reinigung sein. Allgemeine Trends, wie Automatisierung und Digitalisierung werden, wie in jeder anderen Fertigungstechnologie auch, weiter in die Reinigungstechnik Einzug halten. Kurz gesagt, Die Reinigungstechnik der Zukunft wird an Bedeutung gewinnen, wird intelligenter werden und die Anwendungen und Technologien vielfältiger.
Autor(en): Dr.-Ing. Markus Rochowicz, Fraunhofer IPA