Womöglich spielt die Oberflächentechnik eine entscheidende Rolle bei der Transformation hin zur Wasserstoffwirtschaft. Denn die Anoden herkömmlicher Elektrolyseure sind mit Iridium beschichtet, einem der seltensten Elemente des Planeten. Um den Iridiumgehalt künftig auf das absolute Minimum zu drücken, arbeiten Forscher derzeit an neuartigen galvanischen Abscheidungsverfahren. Tatsächlich ist die Oberflächentechnik oft maßgeblich am Innovationsgrad und Fortschritt zahlreicher Branchen beteiligt, ohne dass dies einer breiten Öffentlichkeit bekannt wird. Der Stuttgarter Oberflächentechnik-Preis "Die Oberfläche" hat deshalb das Ziel, diese allgegenwärtige und dennoch oft übersehene Querschnitts- und Schrittmachertechnologie zu würdigen und neuartige Anwendungen aus diesem Bereich voranzutreiben. Martin Metzner leitet die Abteilung Galvanotechnik am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA und hat den Preis 2012 ins Leben gerufen. Bis heute ist er Mitglied der interdisziplinären Jury, die die Auszeichnung alle zwei Jahre vergibt. Auf dem Fachforum der Surface Technology Germany sind dieses Jahr drei Unternehmen mit dem Stuttgarter Oberflächentechnik-Preis ausgezeichnet worden.
Platz 1 – Oversprayfreie Lackapplikation
Bisher ist die Lackiererei einer der größten Energieverbraucher in der Automobilfertigung. Der hohe Verbrauch geht dabei maßgeblich auf die Lacktrocknung und den Overspray zurück. Wenn aber kein Lacknebel mehr entstehen würde, führe das auf die gesamte Lackierlinie bezogen zu einer Energieeinsparung von rund 30 %. Solch eine oversprayfreie Lackapplikation ist nun der Firma Dürr Systems aus Bietigheim-Bissingen mit dem Eco Paint Jet Pro gelungen. Zudem ermöglicht das Verfahren erstmals, kundenindividuelle Produktgestaltung und automatisierte Fertigung effizient und umweltschonend miteinander zu verbinden. "In Zeiten, in denen mehr denn je auf Energieverbrauch und CO2-Emission geachtet wird, bietet Eco Paint Jet Pro deutlich mehr Potenzial als Kontrastfarben oder optische Elemente auf Automobilkarosserien – nämlich den Einstieg in eine abluftarme und damit energetisch optimierte Lackiererei. Das Verfahren der Dürr Systems AG ist damit der würdige Sieger der Oberfläche 2022", lobt Juror Michael Hilt, Geschäftsführer der Forschungsgesellschaft für Pigmente und Lacke e.V. Ein ausführlicher Artikel zur oversprayfreien Lackapplikation von Dürr ist in der JOT 6/2022 erschienen.
Platz 2 – Automatisches Finish
Durch den Einschluss von Partikeln entstehen bei der Lackierung immer wieder sichtbare Defekte. Die betroffenen Stellen müssen bisher in einem energie- und arbeitsintensiven Prozess von Hand nachgebessert werden – je nach Geschick und Tagesform des Personals mit unterschiedlichen Ergebnissen. Doch nun hat die Asis GmbH aus Landshut mit dem automatischen Finish eine präzise und wiederholgenaue Lösung für die Inspektion und Beseitigung von Defekten entwickelt. Industrieroboter bewerten dabei jede Fehlstelle individuell und bearbeiten sie exakt so wie es erforderlich ist. Dieser vollautomatisierte Nachbearbeitungsprozess spart Zeit und Material und gewährleistet eine gleichbleibende Qualität. "Das System hat durch seinen Einsatz bei einem Original Equipment Manufacturer seine industriereife unter Beweis gestellt und soll nun in weitere Branchen ausgerollt werden. Wir freuen uns, die Asis für diese Entwicklung mit der Oberfläche 2022 in Silber auszeichnen zu können", sagte Katja Feige vom Fraunhofer IPA in ihrer Laudatio. Feige sitzt zwar selbst nicht in der Jury, vertrat bei der Preisverleihung aber Juror Martin Metzner.
Platz 3 – Molecular Plasma
Die Molecular Plasma Group S.A. aus dem luxemburgischen Örtchen Fötz hat eine Technologie entwickelt, die eine Oberflächenfunktionalisierung durch die kovalente Bindung organischer Stoffe mittels eines kalten atmosphärischen Plasmas auf jeglichen Substraten ermöglicht. Die durch den einstufigen, trockenen und lösungsmittelfreien Prozess entstehende Nanobeschichtung verleiht der Oberfläche eine klar definierte und dauerhafte Funktion – angefangen bei der Haftungsverbesserung inerter Materialien, über bioaktive Oberflächen bis hin zu hydrophoben, hydrophilen oder auch Antihaft-Eigenschaften. "Diese innovative Anwendung der Plasma-Oberflächentechnik erweitert die Möglichkeiten der Oberflächenfunktionalisierung deutlich", lobt Juror Martin Riester, Referent der Fachabteilung Oberflächentechnik beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Diese Innovationskraft gepaart mit den über viele Zielbranchen breitgefächerten Anwendungsmöglichkeiten war für die Jury ausschlaggebend, das Unternehmen mit Bronze auszuzeichnen.
Zwei weitere Unternehmen waren nominiert
Nominiert für den Stuttgarter Oberflächentechnik-Preis waren außerdem die BMF GmbH aus Chemnitz und die Dörken Coatings GmbH & Co. KG aus Herdecke. BMF hat einen automatischen Strahlprozess geschaffen, der reproduzierbare, homogene und vordefinierbare Oberflächen hervorbringt. Nacharbeit und Ausschuss werden dadurch vermieden. Dörken hat in Zusammenarbeit mit einem weiteren Unternehmen eine Automatikspritzpistole entwickelt, die in Verbindung mit einem Roboter Bauteile nahezu ohne Sprühnebel partiell beschichten kann. Kostspielige und zeitaufwendige Maskierungen sind dafür nicht mehr nötig.
Autor(en): wi