Kurzarbeit, unterbrochene Lieferketten, stillstehende Produktionslinien: Die Corona-Pandemie hat im Frühjahr 2020 auch den Produktionsstandort Deutschland getroffen. Für manche Betriebe bedeuteten die Einschränkungen das endgültige Aus, während sich andere von ihren Ausfällen erholen konnten und manche sogar von vornherein ohne Probleme durch die Pandemie kamen. Die Fähigkeit, unvorhersehbare Krisen zu bewältigen, wird mittlerweile auch im wirtschaftlichen Kontext mit dem Begriff Resilienz bezeichnet, der ursprünglich aus der Psychologie stammt. Das Konzept der Resilienz produzierender Betriebe hat zwei Facetten: Die Robustheit, also die präventive Fähigkeit, einem Störereignis direkt widerstehen zu können; sowie die Regenerationsfähigkeit, also die reaktive Fähigkeit, sich möglichst schnell von negativen Folgen zu erholen. Erweist sich ein Unternehmen entweder als robust oder als regenerationsfähig, so gilt es als resilient.
Resilienz als Messgröße in der Wirtschaft
Im Zuge der Corona-Pandemie wurde die Resilienz der Industrie zu einem Faktor, von dem das Überleben ganzer Betriebe abhängen konnte. Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI hat basierend auf einer Sonderbefragung im Rahmen der Erhebung Modernisierung der Produktion untersucht, warum manche Unternehmen eine höhere Resilienz gegenüber den Corona-bedingten Einschränkungen aufwiesen als andere. 237 Betriebe aus allen Branchen gaben im Winter 2020 Auskunft zu ihrer Situation während und nach dem Corona-Lockdown. Der Großteil (rund 61 %) erwies sich als vulnerabel. Diese Betriebe waren also weder ausreichend robust, noch ausreichend regenerationsfähig; sie erzielten zum Ende des Jahres 2020 immer noch geringere Produktionsvolumina als vor dem Lockdown. Gut 20 % der befragten Unternehmen erwiesen sich als robust; sie meldeten also weder Kurzarbeit an, noch waren sie akut von Lieferschwierigkeiten betroffen. Knapp 19 % konnten sich dank ihrer Regenerationsfähigkeit direkt nach dem Lockdown von den Beschränkungen erholen. Insgesamt machten resiliente Betriebe folglich 39% der Unternehmen aus.
Betriebsgröße und Produkt-Komplexität sind von entscheidender Bedeutung
Als entscheidendes Kriterium für die Resilienz von Betrieben erwies sich deren Größe. Je weniger Beschäftigte ein Unternehmen hat, desto eher war es von vornherein robust gegen die Einschränkungen des ersten Corona-Lockdowns. In dieser Krise wiesen demnach kleinere Produktionssysteme eine geringere Störanfälligkeit auf als Betriebe mit größeren oder komplexeren Systemen. Auch die Regenerationsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) war höher als die großer Betriebe. Insgesamt waren damit KMU den Großbetrieben bei der Resilienzquote deutlich überlegen. Dies ist den den Wissenschaftler des Fraunhofer ISI zufolge auf die überschaubareren Strukturen von KMU zurückzuführen sowie auf die dadurch ermöglichte höhere Flexibilität und Agilität.
Darüber hinaus wurden große Unterschiede in der Resilienzquote in Bezug zu Produktionsmerkmalen festgestellt. Hersteller von einfachen Produkten erwiesen sich als überdurchschnittlich robust und regenerationsfähig im Vergleich mit Erzeugern komplexerer Produkte. Betriebe mit Großserienfertigungen waren robuster als solche, die in Klein- oder Einzelserienfertigung produzierten. Ein Vorteil in der Regenerationsfähigkeit war allerdings nicht festzustellen. Für die Regenerationsfähigkeit von Betrieben war unter anderem die Nähe zum Endkunden entscheidend: 37 % der Produkthersteller für Endkonsumenten waren regenerationsfähig. Zulieferer-Firmen waren hingegen nur zu 13 % regenerationsfähig.
Große Unterschiede lassen sich für die Branchen des Verarbeitenden Gewerbes feststellen: Insbesondere die Elektroindustrie, der Maschinen- und Fahrzeugbau sowie die Metallindustrie waren sehr stark vom Lockdown betroffen. Vier von fünf Betrieben erlitten in diesen Branchen spürbare Produktionsverluste, welche bis zum Jahresende 2020 nicht zu überwinden waren. Im Gegensatz dazu wiesen gerade Betriebe der Prozessindustrien sowie Hersteller von konsumnahen Produkten wie Nahrungsmitteln einen deutlich geringeren Anteil an vulnerablen Betrieben auf.
Industrie 4.0 nimmt Einfluss auf die Resilienz
In ihrer Studie haben die Forschenden auch untersucht, welche Rolle der Einsatz von Industrie-4.0-vorbereitenden Technologien (I4.0) auf die Resilienz von Unternehmen hat. Mit dem vom Fraunhofer ISI entwickelten I4.0-Readiness-Index konnten die befragten Betriebe hinsichtlich ihres Digitalisierungsgrads in vier Gruppen unterteilt werden. Das Ausmaß an Robustheit und Regenerationsfähigkeit unterschied sich zwischen diesen Gruppen stark: So waren diejenigen Unternehmen, die keine oder nur wenige digitale Technologien nutzten, deutlich robuster als die Betriebe der I4.0-Fortgeschrittenen und -Spitzengruppe. Hingegen waren Betriebe mit fortgeschrittenem I4.0-Einsatz deutlich regenerationsfähiger als die Einsteiger und Nicht-Nutzer digitaler Technologien. Hieraus lässt sich schließen, dass ein Betrieb mit hoher I4.0-Orientierung zwar im Durchschnitt gegenüber externen Störereignissen anfälliger ist, sich jedoch gleichzeitig auch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit wieder von dessen negativen Auswirkungen erholt. Unternehmen mit eher traditionell geprägten Produktionsstrukturen und weitgehend analogen Abläufen erweisen sich hingegen gegenüber äußeren Störereignissen als überdurchschnittlich robust. Falls sie jedoch dennoch akut durch die Einschränkungen betroffen sind, weisen sie nur eine äußerst geringe Wahrscheinlichkeit für regeneratives Verhalten auf.
Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass ein Produktionssystem mit zunehmender technischer Komplexität zwar immer anfälliger, dafür aber auch regenerationsfähiger wird. Eine generelle Resilienz-verstärkende Wirkung von I4.0-vorbereitenden Technologien war hingegen nicht zu beobachten. Ein vergleichbar differenziertes Ergebnis hinsichtlich der Resilienz von Betrieben gegenüber den Herausforderungen der Corona-Pandemie ergaben auch die Analysen zu Unterschieden in der Produktionsorganisation, gemessen anhand des Umsetzungsgrads von Lean-Konzepten. "Robustheit und Regerationsfähigkeit gehen nicht immer miteinander einher und werden sowohl durch Strukturmerkmale als auch durch betriebliches Verhalten determiniert", fasst Angela Jäger, Projektleiterin am Fraunhofer ISI, die Ergebnisse zusammen. "Für den einzelnen Betrieb stellt sich die Frage, wo die Stärken der eigenen Resilienz liegen können und wie möglichen Schwachstellen, präventiver oder reaktiver Natur, begegnet werden könnte."
Autor(en): wi